Mitte März verabschiedete der US-Senat einen Gesetzentwurf, der die finanzielle Entschädigung von Strahlenopfern verlängern soll. Die Initiative basiert auf dem seit über 30 Jahren bestehenden Strahlenschutzgesetz. Es sieht eine einmalige Entschädigung für Personen vor, die an Krankheiten leiden, die durch Strahlung aus Atomwaffentests, Uranabbau, -verarbeitung oder -transport verursacht wurden. Die Regelung läuft im Juni aus. Sie gilt bisher in zwölf US-Bundesstaaten: Colorado, New Mexico, Arizona, Wyoming, North & South Dakota, Washington, Utah, Idaho, Oregon, Texas und Nevada. Seit 1990 haben rund 40.000 Menschen einen entsprechenden Antrag gestellt. Die Senatoren plädieren nun für eine Verlängerung um fünf Jahre und eine Ausweitung auf Alaska, Missouri, Tennessee und Kentucky. Das Vorhaben, das auch von Präsident Joe Biden unterstützt wird, muss noch vom Kongress verabschiedet werden. Einige Republikaner befürchten Kosten von 50 Milliarden Dollar und stehen dem Vorhaben kritisch gegenüber. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden bisher 2,5 Milliarden Dollar an Leistungen an die Betroffenen ausgezahlt. Sie erhalten Einmalzuwendungen von maximal 100.000 Dollar. Doch die medizinische Behandlung von Strahlenschäden ist teuer. Krankenversicherungen übernehmen oft nur einen Teil der Kosten.
Unter der Ägide des streng geheimen „Manhattan-Projekts“, benannt nach den beteiligten Institutionen in New York, warnte niemand die Menschen in New Mexico vor den gesundheitlichen Gefahren, die ihnen durch die weltweit erste Atombombenexplosion 1945 auf ihrem Gebiet drohten. Kinder spielten im radioaktiven Niederschlag. Bauernfamilien aßen hoch verstrahltes Gemüse und tranken kontaminiertes Wasser. Viele erkrankten in der Folge an Krebs und Leukämie. Bis heute kämpfen zahlreiche Betroffene - oft Indigene - und ihre ebenfalls erkrankten Nachkommen um Anerkennung. Tina Cordova ist Gründerin einer Selbsthilfegruppe in New Mexico. Sie ist auch die Protagonistin des preisgekrönten Dokumentarfilms „First, we bombed New Mexico“ über die Strahlenopfer der ersten Atombombentests. Die ehemalige Krebspatientin berichtet von einer landesweiten Welle der Solidarität, vor allem seit dem Erscheinen des kürzlich mit einem Oscar ausgezeichneten Films „Oppenheimer“. Darin geht es um die Entwicklung der ersten Atomwaffe. Cordova hält die bisherige Hilfe der Regierung für inakzeptabel und fordert eine Aufstockung.
Kein gutes Wahlkampfthema
Die radioaktiv verseuchten Gebiete der USA beschränken sich jedoch nicht nur auf die Areale, in denen die Regierung Atomtests durchführte. Es handelt sich heute auch um defekte oder stillgelegte Kernkraftwerke, Atommülllager, Uranminen, Laboratorien und Betriebe, die radioaktives Material verarbeiten. Nach Angaben des US-Energieministeriums ist die ehemalige Plutoniumfabrik Hanford - einer der Entwicklungsstandorte des Manhattan-Projekts - im Bundesstaat Washington das radioaktivste Gebiet der USA. Der Enthüllungsjournalist Joshua Frank spricht angesichts des dort unsachgemäß gelagerten, unkalkulierbaren Erbes sogar von der weltweit größten nuklearen Langzeitbedrohung. Die USA, mit 93 Atomreaktoren der weltweit größte Produzent von Atommüll, haben bis heute keine Lösung für dessen sichere Endlagerung gefunden.
Die Regierung beschränkt sich derzeit auf die Dekontamination ausgewählter Gebiete. Beispiel New York: Vor 80 Jahren experimentierte Robert Oppenheimer in einem Gebäude auf Staten Island mit tonnenweise aus dem damaligen Belgisch-Kongo importiertem Uran. Jahrzehntelang vertuschten die Behörden die Folgen für Umwelt und Anwohner. Nach Angaben der US-Armee ist die Gammastrahlenbelastung hier 25-mal höher als normal. Die Bewohner der angrenzenden Neubausiedlung, die von der Stadt finanziell gefördert wurde, sollen nach eigenen Angaben lange Zeit nichts gewusst haben. Terese, die dort 2016 ihr Haus gebaut hat, ist schockiert. Von Verstrahlung habe ihr nie jemand etwas gesagt. Erst die Proteste von Aktivisten zeigten Wirkung: Im November 2023 begann das Militär damit, einen Teil des Wassergrundstücks abzutragen. Schaulustige beobachteten die dystopische Szenerie von einer nahegelegenen Brücke aus - Männer in Strahlenschutzanzügen füllten mit schwerem Räumgerät Schlamm und Bauschutt in riesige schwimmende Container.
Ein weiterer kritischer Ort: Eine Autowerkstatt, in der früher strahlendes Thorium verarbeitet hat. Nach Angaben der Umweltschutzbehörde liegt die jährliche Belastung dort trotz Schutzmaßnahmen heute bei etwa 300 Millirem. Das entspricht 30 Röntgenaufnahmen des Oberkörpers. Um die Strahlungsaufnahmefläche zu verringern, sollen die Angestellten deshalb nicht auf dem Rücken arbeiten. Die Strahlenschutzkommission hält Werte von 100 Millirem für „sicher“. Die New Yorker fallen bisher nicht unter das Ausgleichsgesetz. Alle politischen Lager reagieren vorsichtig. Solche Altlasten sind ein schlechtes Wahlkampfthema.
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